Wenn die Kultur die Strategie frisst – oder warum Diversität das Scheitern verhindern kann
Peter Scherer leitet die Weiterbildungen des Instituts Digitales Bauen und erklärt im Blog-Beitrag, warum Transformationsprozesse, bei welchen die Kultur eines Unternehmens nicht berücksichtigt wird, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.
Peter Scherer
Wer mich kennt, weiss, dass einer meiner Lieblingssätze lautet: «Culture eats strategy for breakfast». Ich arbeite, nach 20-jähriger Praxiserfahrung in der Baubranche, derzeit am kulturellen und digitalen Wandel in der gebauten Umwelt. Dabei vermittle ich den Menschen wie sie ihr eigenes Verhalten anpassen können, damit sie den Nutzen der Transformation im Bauwesen – natürlich mit modernen, digitalen Werkzeugen – erschliessen können.
Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Wenn Transformationsprozesse – heute sind das meist Digitalisierungsprozesse – in Firmen aus Entwicklung, Planung, Bau oder Bewirtschaftung scheitern, dann, weil die Unternehmenskultur die Strategie bereits zum Frühstück verschlungen hat. Doch, woher kommt eigentlich dieser Satz «culture eats strategy for breakfast», und was bedeutet er?
Die Aussage wird dem Ökonomen Peter F. Drucker zugeschrieben, welcher zahlreiche Standardwerke über Theorie und Praxis des Managements veröffentlicht hat. Ob Drucker tatsächlich der Urheber dieses geflügelten Wortes ist, ist nicht erwiesen. Klar ist hingegen, wie die Aussage zu verstehen ist: Die Kultur eines Unternehmens entscheidet über ihren Erfolg, egal wie die Strategie lautet. Oder anders: Wer eine Strategie entwickelt und verfolgt, ohne auf die Kultur Rücksicht zu nehmen, droht, von dieser verschlungen zu werden und schliesslich zu scheitern.
Firmen, die eine Veränderung anstreben, brauchen eine Strategie, eine klare Vorstellung, wohin der Weg gehen soll und wie dieser aussieht. Gleichzeitig sind Firmenkulturen meist stark verankert. Firmen sind soziale Systeme, bestehend aus Menschen und Beziehungen, und diese – das kennen wir aus Niklas Luhmanns Systemtheorie – lassen sich nicht einfach anpassen und verändern. Sie müssen von innen heraus, zusammen mit den Menschen und über für sie sinnvolle Handlungen verändert werden.
Ein konkretes Beispiel: Wenn eine Firma bei ihrer digitalen Transformation beschliesst, den von Hand ausgefüllten Ferienkalender am schwarzen Brett durch ein Online-Tool zu ersetzen, kann es gut sein, dass sie damit scheitert. Denn es gibt Mitarbeitende, die wissen, wie das Tool zu bedienen ist, und was es bringt. Andere wissen es nicht oder sind unsicher, was im Hintergrund geschieht, wozu es dient. Es kommt zu (Fehl-)Manipulationen und bald werden sich einige weigern, das Tool zu nutzen. Die Unzufriedenheit steigt, weil eine Spaltung der Kulturen stattfindet: in «Nerds» und «Verweigerer».
Digitalisierungs-Strategien, die das System von aussen oder von oben verändern wollen, scheitern nicht selten am mangelnden Einbezug der Firmenkultur und der Menschen, dem Ist-Zustand. Es ist oft unklar, was der Mehrwert der neuen Lösung ist – doch Digitalisierung kann kein Selbstzweck sein.
Hätte es auch anders laufen können?
Bleiben wir beim Beispiel mit dem Ferien-Tool. Die «Nerds» und die «Verweigerer» hätten in gemischten Teams – die Strategie heisst in diesem Fall «Diversity» – das Problem wohl selber lösen können: Ein «Nerd» erklärt einer «Verweigererin» Sinn und Zweck des Tools, diese wiederum erklärt dem «Nerd», wie das Tool für sie besser nutzbar wäre.
Damit hat die Veränderung der Firmenkultur bereits eingesetzt. Und obwohl es auf den ersten Blick nicht sehr zielführend erscheinen mag, wenn bloss der Ferienkalender digitalisiert wird – es soll ja letztlich die ganze Firma digitalisiert werden – ist auch diese Herangehensweise nicht falsch: punktuell und Stück für Stück statt alles auf einmal.
Auch das hilft, um die Strategie nicht der Kultur zum Frass vorzuwerfen.
Zum Autor:
Peter Scherer leitet neben seiner beratenden Praxistätigkeit seit 2017 die Weiterbildungen des Instituts Digitales Bauen und wird ab Januar 2022 als Professor für Digitales Bauen den Master of Advanced Studies und das VDC Certification Program weiterentwickeln. Er studierte Gebäudetechnik und hat sich an der FHNW sowie an der Stanford University im Bereich VDC weitergebildet.
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