«Beim Bauen ist es wie beim Fussball: Wer ohne Plan aufs Spielfeld geht, kann nicht gewinnen»

Martin Fischer ist Professor an der Stanford University im SiliconValley (Kalifornien) und gilt als Begründer von VDC. Im Interview erklärt er, was VDC ist, wie die Methode funktioniert und warum sie zum Erfolg führt.

Martin Fischer, zu Beginn ein kleines Kunststück: Erkläre bitte den Begriff «VDC» in einem Satz.

Virtual Design and Construction (VDC) ist eine Projektmanagement-Methode im Bauwesen, die moderne Digitalisierung, Lean-Management sowie Methoden der Zusammenarbeit vereint, um für Kundinnen und Kunden der Planungs- und Baufirmen bessere Resultate mit hoher Konsistenz zu erzielen.

Was ist der Unterschied zwischen «VDC» und «BIM»?

Bei BIM – Building Information Modelling – geht es vor allem um Informationen und deren Visualisierung. Diese sind existenziell, aber nicht ausreichend. BIM ist ein wichtiger Teil von VDC, der übergeordneten Management-Methode. Kurz gesagt: Mit BIM lassen sich Informationen austauschen und sammeln, also Informationsmanagement betreiben. Mit VDC hingegen lässt sich das ganze Projekt managen.

Das Framework von VDC vereint neue Technologien und Formen von Teamarbeit wie Ko-Kreation. Kannst du konkrete Beispiele nennen?

Neue Technologien sind etwa Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) oder generell Extended Reality (XR). Sie ermöglichen nicht nur, sondern bedingen auch neue Arten der Zusammenarbeit.

Was heisst das genau?

Ein Beispiel: Eine unserer Assistentinnen machte letzten Sommer ein Praktikum beim Bau der grössten Kläranlage von San Francisco. Weil alle Angestellten im Homeoffice waren, bekamen sie ein Headset mit einer Virtual Reality-Brille. So traf sich das ganze Team gleichzeitig im selben virtuellen Raum und konnte anhand des Modells gemeinsam das weitere Vorgehen besprechen.

Und warum braucht die Baubranche VDC?

Weil die heutigen Methoden zu selten zufriedenstellende Resultate liefern. Das liegt an der sequenziellen Erstellung der Pläne und daran, wie man baut und bewirtschaftet. Das führt oft dazu, dass man nicht von Anfang über alle nötigen Zielsetzungen informiert ist und nicht optimiert.

Heisst das, alle kümmern sich nur um den eigenen Bereich ohne Blick auf das grosse Ganze?

Das ist so. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Fussballmannschaft zusammenstellen: Am Montag suchen Sie per Wettbewerb einen kostengünstigen Coach. Dieser stellt eine Spielerin oder einen Spieler an, dann wird ein günstiger Goalie gesucht und so weiter. Da kommt kein kohärentes Team zusammen. Alle sind Fachspezialistinnen und -spezialisten, aber man geht ohne Plan und wundert sich dann, wenn man nicht gewinnt. So wird heute oft gebaut. Manchmal kommt es gut. Aber als Strategie taugt ein solches Vorgehen nicht.

Wie kann die Baubranche besser zusammenarbeiten?

Als erstes muss man die Bestellenden und Auftraggebenden dazu bringen, konkret zu sagen, was sie möchten. Alles andere ist unsinnig und genau so, wie wenn man ein Taxi besteigt, und nicht sagt, wo es hingehen soll. Der Erfolg eines Bauprojektes hängt nicht von einer Firma oder einer Person ab, sondern ist eine Kollektivleistung. In der Schweiz wird Vieles, was die Planung angeht, vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA vorgegeben. Dabei steht der Erfolg des Gesamtprojektes über alle Phasen aber nicht im Zentrum.

Und wie spielt die Digitalisierung hier mit ein? Was bedeutet sie für die Baubranche?

Zwei Dinge; Erstens: Weil wir ein Projekt digital erleben können, sind wir in der Lage, als Team viele Varianten durchzuspielen. Wir bringen quasi unser individuelles Kopfkino auf eine grosse Leinwand, auf der alle dasselbe sehen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir zusammenarbeiten und aus einer individuellen Idee eine gemeinsame Idee wird. Und zweitens: Ohne Digitalisierung ist es unmöglich, Prozesse skalierbar zu machen. Nur mit Digitalisierung kann man systematischer mit grösserer Konsistenz erfolgreich planen und bauen.

Villa Deportiva Nacional de San Luis in Lima Peru

In 18 Monaten alles gebaut: Villa Deportiva Nacional de San Luis in Lima, Peru. Bild: Legado OficialPE/flickr.com

Schrecken die Kosten nicht ab, die VDC verursacht?

Es entsteht ein Mehraufwand für Sitzungen und Modelle. Auf der anderen Seite spart man enorm Zeit, weil Probleme eben nicht auftreten oder der Informationsfluss massiv effizienter wird. Ein phänomenales Beispiel für die Effizienz von VDC war Lima, wo vor ein paar Jahren die Panamerikanischen Spiele abgehalten werden sollten. 18 Monate vor der Eröffnungsfeier merkte man, dass ein Stadion und verschiedene Sportstätten fehlten. Eine lokale Firma übernahm und sagte: wir müssen a) einen Baustandard erreichen, den wir normalerweise in Peru nicht haben und b) alles muss in 18 Monaten fixfertig sein. Dank der konsequenten Anwendung von VDC von Anfang bis zum Schluss wurde das Projekt ein Erfolg. Ich frage mich, ob es in der Schweiz möglich wäre, ein solch grosses und komplexes Bauvorhaben in 18 Monaten zu planen und zu bauen.

Ist ein Gebäude automatisch besser, wenn es mit VDC erstellt wurde?

Die Chance, dass gravierende Probleme auftreten, ist kleiner. Die Leute sind es gewohnt, sich auf einzelne Probleme zu fokussieren. Im Prozess- und Vertragswesen geht es immer nur darum, die Schuld für Probleme während des Baus zu regeln. Dabei könnte man diese Zeit besser nutzen und sogar in einem Bruchteil dieser Zeit Lösungen erarbeiten, bei der solche Probleme gar nicht auftreten.

Im zweiten Interview mit Martin Fischer zeigt dieser auf, was Unternehmen brauchen, um Innovationen wie VDC zu implementieren.


Zur Person:

Dr. Martin Fischer (61) ist Professor für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik und Direktor des Center for Integrated Facility Engineering (CIFE) an der Stanford University, Kalifornien. Er ist gemeinsam mit John Kunz Erfinder der VDC-Methode und hat den Begriff massgebend geprägt. Fischer wuchs in thurgauischen Steckborn auf. Nach dem Studium an der ETH Lausanne war er an der ETH Zürich Assistent von Professor Angelo Pozzi, dem bekannten Schweizer Bauingenieur, CEO und VR-Präsidenten von Motor-Columbus. Dieser hat ihn dazu angeregt, an die US-Westküste zu gehen, wo Fischer bis heute lebt, forscht und unterrichtet.

fischer@stanford.edu

Teil 2 des Interviews mit Martin Fischer

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