«Wir befinden uns mitten in einer dramatischen Entwicklung»

Martin Fischer ist Professor an der Stanford University im Silicon Valley (Kalifornien) und gilt als Begründer von VDC. In diesem zweiten Interview mit ihm (Teil 1 siehe hier), macht er deutlich, dass Innovationen auch Druck, eine gemeinsame Vision und eine Gesamtstrategie benötigen.

Du hast kürzlich am Campus Sursee einen VDC-Workshop abgehalten. Wie lief es?

Es nahmen rund 65 Personen teil, alle aus der Praxis, also Architektinnen, Bauleute, Ingenieure, Auftraggebende sowie 14 Mentorinnen und Mentoren. Ich hatte den Eindruck, alle haben den Stoff sehr gut begriffen.

Was war das zentrale Anliegen, das du vermitteln wolltest?

Inhaltlich lag der Fokus auf der klaren Zielformulierung, auf die man pochen muss. Zudem: Es gibt heute viele Innovationen, in der Digitalisierung, bei den Management- und Zusammenarbeits-Methoden, Virtual Reality usw. Das ist alles gut und recht und hat viel Potenzial. Aber: Es bringt wenig, wenn Firmen etwas Neues einführen, sich aber nicht überlegen, was das für den Rest bedeutet.

Kannst du das ausführen?

Es ist logisch, dass eine Veränderung an einem Ort Konsequenzen an einem anderen haben wird. Man muss sich fragen, ob die alten Abläufe noch die richtigen sind oder ob das effizienter geht. Ohne Visualisierung des Bauwerks und gemeinsame Vision ist das aber schwierig. Die Sitzungen ufern aus, weil sich nicht alle das Gleiche vorstellen.

Was gibst du den Teilnehmenden der Weiterbildung und Studierenden der FHNW mit?

Wir ermuntern sie dazu, mit Rückgrat in ihre Firmen zurückzukehren und Druck zu machen. Inhaltlich sind sie gewappnet und sollen sich von passivem Widerstand oder Ausreden nicht lähmen lassen. Wichtig ist, dass sie sofort mit der Umsetzung anfangen. Und zwar dort, wo sie können. Es gibt immer eine Ausrede, warum etwas grad nicht geht: kein Geld, der oder die Zuständige in den Ferien, die Firma hat gerade andere Prioritäten. Aber wenn man nur auf das blickt, was man nicht machen kann, kann und wird man nichts erreichen.

Und was könnten Lösungen für solche Blockaden sein?

Wir fordern die Teilnehmenden der Weiterbildung und Studierenden dazu auf, dort anzusetzen, wo sie eine gewisse Kontrolle über die Prozesse haben: Fang an! Zeige dir selbst, dass du konkret etwas verbessern kannst. Du findest sicher ein, zwei Kolleginnen und Kollegen, die mitziehen. Will man überzeugen, muss man quantifizierbare Resultate generieren. Statt vage «weniger Leerlauf» zu fordern, verlangt man zum Beispiel, dass der Leerlauf von aktuell acht Prozent der Stunden auf ein Prozent gesenkt wird. Das löst sofort eine Diskussion aus – und aus dieser können dann Lösungen und Massnahmen entwickelt werden.

Wie implementiert man VDC in einer Firma?

Bei VDC ist es – wie meistens bei der Anwendung von neuen Technologien – wichtig, dass man weiss, was man erreichen will, wie man die Zusammenarbeit und die Prozesse verbessern will. Die meisten erfolgreichen Firmen, die ich kenne, haben kein nach oben hin fixiertes Innovationsbudget. Sie sagen, sie wären ja doof, wenn sie eine Investition, die die Firma verbessert, nicht so bald wie möglich einsetzen und dementsprechend dahinein investieren würden.

Warum gibt es hierzulande so viele Vorbehalte gegenüber VDC?

Manche meiner Schweizer Besucherinnen und Besucher in Stanford sind verblüffend ehrlich, wenn sie sagen: VDC ist wunderbar, das macht Sinn und es wäre eigentlich logisch, dass man so arbeitet. Aber uns geht es zu gut, wir sehen keinen Grund, warum wir uns da am Wochenende den Kopf zerbrechen und uns etwas Neues überlegen sollten.

Es fehlt der Wille zur Veränderung?

Offenbar. Ein Grund dürfte auch sein, dass die empfohlenen Prozesse in den Normen der Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA mit ungenügender Reflexion angewendet werden. Ein Problem ist beispielsweise, dass die Prozesse nicht auf den Einsatz moderner Digitalisierungsmethoden angepasst sind. Dabei ist völlig klar, dass jedes Bauwerk, sei es ein Gebäude, eine Brücke, eine Strasse, von den Beiträgen mehrerer Disziplinen und Fachpersonen abhängig ist. Aber in der Honorarordnung wird überhaupt nicht reflektiert, dass man als Team arbeitet. Da ist jeder für sich, die Architektinnen, die Bauingenieure, alles ist separat geregelt. Das ist im 21. Jahrhundert nicht mehr haltbar.

Was bedeutet das?

Die gängigen Honorarordnungen, die sich auf die Disziplinen und traditionelle Projektabläufe fokussieren, müssen mit Honorar- und Prozessmodellen, die den Erfolg des Projektes und des Teams ins Zentrum stellen, ergänzt werden.

VDC verwendet viele englische Ausdrücke. Sind gute Englischkenntnisse zwingend, um VDC zu erlernen?

Weltweit verwendet man meist die englischen Begriffe, damit alle vom Gleichen reden. Global wird ohnehin praktisch alles, was innovativ ist, auf Englisch publiziert. Es gibt viele Bereiche, in denen die Schweiz sehr gut ist, aber die Arbeiten werden nur auf Deutsch oder Französisch publiziert. So erreichen sie schlicht nicht die nötige Reichweite und niemand nimmt Notiz davon.

Wie sieht die künftige Anwendung von VDC aus?

Es geht in zwei Richtungen: Es wird mehr automatisiert, was die Aufgaben von Architekten, Architektinnen und Bauleuten verändert. Die andere Richtung ist, dass Firmen in gewissen Sparten fixfertige Produkte auf den Markt bringen. In Bielefeld etwa geht man zur Firma Goldbeck und sagt zum Beispiel, man brauche ein Bürogebäude für 80 Leute. Dann bekommt man drei Varianten vorgelegt, von einfach bis luxuriös. Und zu jeder gibt es Optionen, die man sich virtuell anschauen kann. Man kann also sagen: Wir befinden uns mitten in einer dramatischen Entwicklung, es ist Zeit, dass wir lernen, darauf zu reagieren.


Zur Person:

Dr. Martin Fischer (61) ist Professor für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik und Direktor des Center for Integrated Facility Engineering (CIFE) an der Stanford University, Kalifornien. Er ist gemeinsam mit John Kunz Erfinder der VDC-Methode und hat den Begriff massgebend geprägt. Fischer wuchs in thurgauischen Steckborn auf. Nach dem Studium an der ETH Lausanne war er an der ETH Zürich Assistent von Professor Angelo Pozzi, dem bekannten Schweizer Bauingenieur, CEO und VR-Präsidenten von Motor-Columbus. Dieser hat ihn dazu angeregt, an die US-Westküste zu gehen, wo Fischer bis heute lebt, forscht und unterrichtet.

fischer@stanford.edu

Teil 1 des Interviews mit Martin Fischer

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