Wie die Psychologie ein hartes Business besser macht: Interdisziplinäre Teams können die digitale Baustelle optimieren
Was hat die Psychologie auf einer Baustelle verloren? Und wozu braucht es einen Psychologen im spezialisierten Master-Studiengang Virtual Design and Construction an der FHNW? Die einfache Antwort lautet: Beides kann die Zusammenarbeit verbessern. Warum das gerade auf dem Bau immer wichtiger wird, erklärt Psychologieprofessor Hartmut Schulze.
Die Baubranche konnte ihre Produktivität in den letzten 50 Jahren kaum steigern. Derweil verdoppelte das produzierende Gewerbe seine Produktivität, in der Pharmabranche zeigt sie steil nach oben. Auf dem Bau werden hingegen jedes Jahr mehrere Milliarden Franken allein für die Behebung von Fehlern ausgegeben.
FHNW-Professor Hartmut Schulze ist überzeugt: «Der Missstand liegt in erster Linie in der mangelnden Kooperation.» Denn entscheidend für Erfolg oder Misserfolg eines Projektes seien schliesslich die beteiligten Organisationen und Personen. Also letztlich die Menschen und die Art, wie sie zusammenarbeiten.
Misstrauen als vorherrschendes Gefühl
An einem Bauprojekt sind viele kleine und grosse Akteure beteiligt. Firmenübergreifende Kooperation findet dagegen nur im Ausnahmefall statt. «Das häufig vorherrschende Gefühl ist Misstrauen», weiss Schulze. Jede Partei versuche, die eigenen Interessen umzusetzen und Fehler der anderen Seite zuzuschieben.
Die Digitalisierung hat bisher nicht dazu geführt hat, dass sich die Menschen besser verstehen – geschweige denn, dass die grundlegenden Probleme der Zusammenarbeit damit gelöst werden konnten. Mit Methoden wie BIM – Building Information Modeling – arbeiten zwar alle Beteiligten gleichzeitig am gleichen Modell, dem digitalen Zwilling. «Man könnte meinen, es herrsche volle Transparenz, alle bekämen mit, was die anderen gerade tun, und dass dies die Kooperation voranbringt», sagt Schulze, doch genau das sei nicht der Fall.
Was es braucht? Analyse, Bewertung und definierte Prozesse
Die Psychologie kann zumindest Teillösungen für diese Probleme liefern. Weiter kann sie systematische Ansätze fördern. Schulze: «Als angewandte Psychologen sind wir erstens gewohnt, zu analysieren und aufzudecken, wo die Probleme liegen.» Zweitens könne die Disziplin mit Befragungs- und -messverfahren erfassen, wie gross die Probleme wirklich seien. «Und drittens – und das ist vielleicht das Wichtigste – können Psychologinnen und Psychologen daraus ableiten, welche Prozesse und Methoden in den Bereichen Koordination, Kooperation, und Ko-Kreation eine Verbesserung bringen», erklärt Schulze.
Ein konkreter Ansatz wäre mehr Verantwortung durch geteilte Risiken und Gewinne, indem diese auf die beteiligten Firmen verteilt werden. Dies beinhaltet unter anderem, Ziele von Beginn weg zu vereinbaren und jederzeit völlige Transparenz zu gewährleisten. Eine weiterer Ansatzpunkt: Die Ausschreibungspraxis im Bauwesen. «Ausschreibungen müssen sich vermehrt an Allianzen und Verbünde richten, statt an Generalunternehmer, so kann gewachsenes Vertrauen und eingespielte Kooperation genutzt werden», erklärt Schulze.
Neue Rollen für Beteiligte
Auch neue Rollenzuteilungen für die involvierten Akteure sind für die Psychologen kein Tabu: «Wir fragen uns, welche Berufsgruppe in Bauprojekten vermehrt die Rolle des ‹facilitator› übernehmen und Kompetenzen als Moderatoren haben sollten.» Zum Beispiel könnten dies Architektinnen und Architekten sein: Kann neben einem guten Entwurf auch eine gute Zusammenarbeit bei einem grossen Projekt Ausdruck von Kompetenz und Kreativität sein?
Es braucht auf jeden Fall ein neues Mindset – bei allen Beteiligten. Und wer, wenn nicht die angewandte Psychologie, die sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten auseinandersetzt, kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten?
Hand in Hand
Im Master-Studiengang Virtual Design and Construction (VDC) an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW erarbeiten die Studierenden Kompetenzen in Informationsmodellierung und -management sowie in den Bereichen Zusammenarbeit und Prozessgestaltung. Die Hochschulen für Architektur, Bau und Geomatik und für Angewandte Psychologie der FHNW arbeiten dazu interdisziplinär. Zur Webseite des Studiengangs
Zur Person:
Hartmut Schulze
Prof. Dr. Hartmut Schulze ist Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie an der FHNW. Er forscht und lehrt zu den Themen Zusammenarbeit, Büroräumen sowie der Interaktion zwischen Mensch und Roboter. Im spezialisierten Master-Studiengang Virtual Design and Construction (VDC) leitet er das Modul Psychologie. Mehr Informationen zu seiner Tätigkeit an der FHNW finden Sie hier.